Botswana: Die Schule der Elefanten - [GEO]

2021-12-29 21:10:55 By : Ms. ouyang ouyang

Das Seminar beginnt mit einer Kletterübung: Linken Fuß auf den Oberschenkel des Lehrers setzen, rechtes Knie in den Sattelgurt des Elefanten pressen. Benny, der auf dem Bauch liegt, grunzt unwillig und verlagert ruckartig sein Gewicht. Ich kann mich nicht mehr halten, rutsche ab, bleibe benommen im Sand liegen. Benny packt mit dem Rüssel meinen Sonnenhut, kaut auf ihm herum und spuckt ihn wieder aus. "Musst dem Elefanten vertrauen", sagt Joseph Molekoa, der Seminarleiter. "Dann vertraut der Elefant auch dir." Vertrauen? Benny wiegt fast sechs Tonnen! Seine Beine haben den Umfang von antiken Säulen, sein Rüssel hat die Kraft einer Würgeschlange, und wenn er den unerhörten Konvulsionen seines Darms nachgibt, kracht Dung heraus wie bei einer Detonation. Ich habe mir das ehrgeizige Ziel gesetzt, in drei Tagen sein Wesen zu ergründen. Im Abu Camp im Norden Botswanas will ich in einem Elefantenseminar herausfinden, was es heißt, ein Dickhäuter zu sein. Ich will das Verhalten des größten lebenden Säugetiers lesen lernen, um das Okavango-Delta, eines der letzten Naturparadiese der Welt, aus seiner Perspektive zu erleben.

Auf ein Neues also: links, rechts, links; mit beiden Händen hochziehen, in den Sattel gleiten - festhalten! Benny erhebt sich und schwankt dabei wie ein überladener Sattelschlepper. Dann throne ich drei Meter über dem Boden. Joseph sitzt vor mir im Elefantennacken. Mit seinem Vollbart, der Armeemütze und der verspiegelten Sonnenbrille sieht der ehemalige Wildhüter aus der Gegend von Pretoria verwegen aus. "Hatte nie daran gedacht, einen Elefanten auch nur zu berühren", sagt Joseph in seiner sparsamen Art. "Hielt das für lebensgefährlich." In den 15 Jahren, die er das Elefanten-Seminar leitet, hat Joseph seine Meinung grundlegend geändert. Im Urlaub, zu Hause in Südafrika, sei die Sehnsucht nach den Tieren einmal so groß gewesen, dass er in den Zoo ging, nur um Elefanten zusehen. "Sind meine Familie", sagt Joseph. "Move up!", befiehlt mein Elefantenlehrer, und Benny setzt sich in Bewegung, marschiert geradewegs in eine schimmernde Lagune, die das Camp umrahmt. Das Wasser reicht Benny bis zum Bauch, ich wiege mich im Rhythmus seiner gleichmäßigen Schritte.

Seine Schwanzquaste zieht durch die Lagune, in ihrem Kielwasser treibt entwurzeltes Schilf; dahinter ein Anblick wie ein fantastischer Traum: eine Karawane von Elefanten, deren Leiber sich auf der glatten Oberfläche der Lagune spiegeln, und die ihre Reiter auf dem Rücken tragen wie Tornister. Die Hausherde des Abu Camps zählt acht Elefanten, die Schlimmes durchgemacht haben. Benny musste als Baby erleben, wie seine gesamte Herde bei einer Dezimierungsaktion im südafrikanischen Krügerpark vom Hubschrauber aus erschossen wurde. Er überlebte, wurde eingefangen und in die USA verschifft. In Texas vegetierte er 23 Jahre lang in einer winzigen Betonzelle im Zoo von Fort Worth vor sich hin. Er litt an Bewegungsmangel, rammte seine Stoßzähne in die Wände, bis sie ausfielen, und verletzte sein rechtes Ohr, das heute schlaff herunterhängt. Benny gehörte zu den ersten drei Tieren, die der amerikanische Elefantentrainer Randall Moore für die Produktion eines Kinofilms aus den USA zurück nach Afrika verschiffte.

1990 gründete Moore im Okavango-Delta das Abu Camp, befreite weitere Elefanten aus jämmerlichen Situationen und führte sie zu einer Familie zusammen. "Benny war kein Elefant", erinnert sich Joseph. "Er hatte Angst vor allem." Schon ein aufflatterndes Buschhuhn ließ ihn in Panik geraten. Langsam legte sich die Furchtsamkeit. Indem er Elefantenschüler wie mich durch den Busch trägt, lernt er, sich wieder angstfrei in der Wildnis zu bewegen. Bennys Lebensgeschichte berührt mich. Ich lege meine Hände in seinen Nacken. Die Haut fühlt sich an wie ein alter Lastwagenreifen. Darunter spüre ich gewaltige Schulterblätter, die sich bei jedem Schritt verschieben. Benny hebt den Kopf, seine Nackenhaut faltet sich zusammen und klemmt meine Finger ein. "Er spürt deine Hände", sagt Joseph. Ich sehe ihn ungläubig an, denn ich habe den Elefanten nur leicht berührt. Bennys zwei bis vier Zentimeter starke Hautschicht ist nicht so unempfindlich, wie ich geglaubt hatte, sondern bis dicht unter die verhornte Oberfläche gut durchblutet und hoch sensibel.

Nach dem langen Tag genieße ich den Abend im Abu Camp. Die Lodge liegt in einem 160.000 Hektar großen privaten Schutzgebiet und zählt zu den exklusivsten Adressen im Okavango-Delta. Ich residiere in einem der sechs Luxuszelte, entspanne mich in einem weich gepolsterten Mahagonibett, bade in einer Wanne aus Porzellan. Von meiner eigenen Terrasse blicke ich auf die ruhige, nachtdunkle Lagune. Auf dem Hauptdeck der Lodge, unter Sykomoren und Ebenholzbäumen, proste ich der untergehenden Sonne zu.

Der zweite Studientag beginnt problematisch: Benny grummelt und quiekt zickig, lässt mich dann aber doch aufsteigen. Diesige Luft liegt wie ein Schleier auf der Lagune, als die Elefantenkarawane erneut hinauszieht. Unter den zwei Quadratmeter großen Ohren beginnen meine Beine zu schwitzen. "Sind nicht nur zum Hören da", erklärt Joseph. Bennys Blut zirkuliert dort mit hoher Geschwindigkeit, und er kühlt es, indem er ab und zu mit den Ohren fächelt; so reguliert ein Elefant seine Körpertemperatur. "Form der Ohren aufgefallen?", fragt Joseph und gibt die Antwort selbst. "Haben den Umriss Afrikas." Im unteren Bogen liege das Okavango-Delta. Der rund 1600 Kilometer lange Okavango entspringt im Hochland Angolas, wälzt sich nach der Regenzeit als Flut talwärts, streift Namibia und erreicht den Norden Botswanas, wo er in der Kalahari versickert. Dabei verwandelt er ein Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins in Sümpfe, Seen und Lagunen - wie jene, die ich auf Benny durchquere. Bald erklimmen wir eine der Inseln, die zu tausenden aus der amphibischen Landschaft des Deltas ragen.

Benny überrascht mich erneut: Obwohl der Inselboden hart ist wie Asphalt, schreitet Benny lautlos einher - das Sprichwort vom Elefanten, der durch einen Porzellanladen trampelt, beruht auf völlig falschen Annahmen. "Läuft auf Zehenspitzen", sagt Joseph. Zwischendurch frisst, frisst, frisst Benny: Jeden Tag verzehrt er mehrere Zentner. Das schafft Probleme, denn nach der jährlichen Flut schrumpft das Okavango-Delta zusammen. Die Region ist ein Ökosystem mit begrenzten Ressourcen, und der graue Vielfraß vertilgt die Vegetation ganzer Landstriche. In den 80er Jahren war der Afrikanische Elefant noch vom Aussterben bedroht. Botswana hat die Schutzprogramme vorbildlich umgesetzt. In der "Schweiz Afrikas" sind fast 20 Prozent des Staatsgebietes für die Natur reserviert, die vielen privaten Schutzgebiete nicht mitgerechnet. Heute leben in Botswana wieder etwa 120.000 Elefanten. Die Kehrseite des Erfolgs: Die unersättlichen Herden haben manche Gegenden in Baumfriedhöfe verwandelt.

Am dritten Tag des Seminars sind wir schon ein eingespieltes Team. Benny erkennt mich, hat mich akzeptiert. Auf unseren ausgedehnten Wanderungen durch die Savanne verspeisen wir gemeinsam süße Ebenholzfrüchte und knabbern die Eihüllen von Wanzen, die wie Reisgebäck schmecken. Mühelos kann ich das Alter wilder Bullen aufgrund der Stärke ihrer Stoßzähne einschätzen. Dank Josephs Sprachunterricht kollere, poche und quieke ich fast wie ein echter Elefant und kann mir nun den Inhalt der Ferngespräche vorstellen, die sie über Kilometer hinweg in für Menschen unhörbar tiefen Frequenzen miteinander führen. Die Elefantenwelt wird mir beinahe so vertraut, als habe Benny mich durch den Rüssel eingesogen, als säße ich hinter seiner Stirn und schaute durch seine Augen hinaus ins Okavango-Delta. Auch Josephs sonderbare Gesten leuchten mir jetzt ein: Der Rüssel - Benny atmet, riecht, wittert mit ihm, teilt Zärtlichkeiten oder Schläge damit aus, drückt Bäume um oder pflückt die winzigsten Blättchen aus sechs Metern Höhe. Dieser Rüssel ist der Schlüssel zum Wesen des Elefanten.

Und indem Joseph seine Bewegungen imitiert, geht dieses Wesen auf ihn über. Die ganze Zeit habe ich mich über Bennys scheinbar sinnlose Zerstörungswut gewundert. Jetzt stecke ich in seiner Haut und erkenne, dass er die Landschaft zwar zerlegt, doch zugleich einen Schöpfungsakt vollbringt. Zahllose Pflanzensamen gehen unverdaut durch einen Elefantenmagen, um anschließend in seinem Dung zu keimen. Ohne die Hilfe der grauen Riesen würde sich die Pflanzenwelt nicht verjüngen. Erst seit Siedler die Elefantenherden auf immer kleinere Gebiete zurückgedrängt haben, kann die Flora den Tieren nicht mehr standhalten; erst der Mensch hat den Elefanten zum Zerstörer gemacht. Absitzen! Benny geht umständlich in die Knie. Ich schwinge mich aus dem Sattel und fühle mich auf den eigenen Beinen fremd: zwei Füße, nicht vier. Kein Rüssel vor meinem Gesicht. Und statt der Riesenlappen ertaste ich zwei winzige, erhitzte Ohren. "Seminar bestanden", sagt Joseph, schraubt seine Rüsselhand in den Himmel, und Benny trompetet zustimmend. Nachtrag. Vor kurzem erreichte uns folgende Nachricht aus dem Camp: "Wir haben Benny in die Freiheit entlassen. Er findet sich außerordentlich gut zurecht. Kommt in der Wildnis bestens ohne unsere Hilfe aus. Er trägt einen Funksender, damit wir seine Spur nicht verlieren."

Einreise: Ein mindestens sechs Monate gültiger Reisepass genügt. Das Visum wird deutschen Staatsbürgern bei der Einreise kostenlos ausgestellt.

Reisezeit: Die wärmsten Monate sind Oktober und November mit Temperaturen über 30 Grad; Regenzeit zwischen Oktober und März. Die jährliche Flut erreicht das Delta im März, die Gesamtausdehnung ist im Juni und Juli am größten (gut für Wasseraktivitäten) und erreicht im Dezember und Januar ihren Tiefpunkt (gut für Tierbeobachtung).

Gesundheit: Für den Norden des Landes wird Malariaprophylaxe dringend angeraten. Infos:

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